Immer der Nase nach
Eines unserer vernachlässigten Sinnesorgane ist die Nase. Wenn wir Düfte und Gerüche beschreiben sollen, kommen wir schnell an unsere Grenzen. Während die Begriffe um Farben und optische Eindrücke zu beschreiben Legion sind, müssen wir uns bei olfaktorischen Erlebnissen mit Vergleichen und Metaphern behelfen: Etwas riecht "blumig" oder "streng", "wie frisch gewaschene Wäsche" oder einfach nur "gut".
Der Geruch eines Hauses ist schwer zu beschreiben, jedoch steht fest: Jedes Haus hat seinen Geruch - nach dem Essen, das dort häufig verzehrt wird, nach den Menschen, die dort leben, nach den Gegenständen, die seine Räume bevölkern. Der Geruch entscheidet, ob wir uns wohl oder fehl am Platz fühlen.
Eine ehemalige Studienkollegin hatte mich vor Monaten zu einem Sommerfest in Zeil am Main eingeladen - Anlass war das 13-jährige Bestehen ihrer Lebenspartnerschaft. Wir hatten seit unserem letzten Treffen vor gut drei Jahren zwar keinen Kontakt mehr, und ihre Einladung überraschte mich sehr, doch ich war so frei zuzusagen.
Das Fest sollte im Haus "Warme Sonne" der Naturfreunde Zeil stattfinden - am Rande der Kleinstadt Zeil am Main auf einem bewaldeten Hügel gelegen, bietet es einen wunderschönen Ausblick auf die Stadt. Selbst bei weniger schönem Wetter.
Sobald ich das Gästehaus betrat, schlug mir ein sehr vertrauter Geruch entgegen... nach Sommernachmittagen, nach Blumengießen im Garten, nach
Möbeln aus den Sechzigern, nach Orangenlimo und Butterkeksen. Es roch
nach dem geglückten Versuch, die Katze zu streicheln, nach Walderdbeeren
pflücken.
Die Geruchswahrnehmung ist eng mit dem Erinnerungsvermögen verbunden. Es kann sein, dass ein Mensch eine Duftquelle nicht korrekt benennen kann, ihm aber sofort eine Situation einfällt, in der er den Geruch schon einmal wahrgenommen hat: Er mag Chanel No. 5 nicht kennen, der Begriff Aldehyde mag ihm nichts sagen, aber er erinnert sich an "das Parfum, das die Großtante immer trug".
Solltet ihr also gerade nicht genug Zeit für eine Reise haben: Geht immer nur der Nase nach, auch so kommt ihr an einen anderen Ort in einer anderen Zeit.
Danke an Gudrun für die Einladung - es war sehr schön!
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