Totenstille.

Was tun, wenn es richtig Sommer ist? Mit gleißendem Sonnenschein, Hitze schon am frühen Vormittag und einer Stadt, die überall voller Menschen ist? Wenn man sich nach ein wenig Ruhe sehnt und Schatten? Ich wollte mir letztes Wochenende ein wenig Abkühlung verschaffen und ging deshalb an einen Ort, von dem ich mir sowohl Ruhe als auch Kühle versprach:

Dem Waldfriedhof.
 

Als ich noch mit dem Bus zur Arbeit fuhr anstatt wie jetzt mit dem Rad, fuhr ich immer daran vorbei: "Nächste Haltestelle: Waldfriedhof." - "Nächste Haltestelle: Waldfriedhof. Haupteingang." Die Linie 51 fährt alle zehn Minuten dort vorbei. Vom Bus aus sah ich den großen Eingangsbereich mit dem steinernen Tor und den Sphinxfiguren oben. Bisher hatte ich nie die rechte Lust noch wirklich Gelegenheit, mir diesen Friedhof anzusehen.  Doch die Hitze und das Gefühl der beengten Wohnung trieben mich hinaus.



Friedhöfe kenne ich seit meiner Kindheit recht gut. Ich war lange Zeit Messdienerin und übernahm auch gerne die Extraschichten bei Beerdigungen, weil es dort ein paar Mark als kleines Dankeschön gab. In meinem Leben muss ich sicherlich auf etwa dreihundert Beerdigungen gewesen sein. Der Geruch von Weihrauch und Erde, die Blumenkränze und Gestecke, das Ave Maria an der Orgel, die Sargträger, all das war mir wohlvertraut. Rückblickend betrachtet ein seltsamer Gedanke, an wie vielen offenen Gräbern ich stand. Nur die allerwenigsten dieser Menschen kannte ich überhaupt persönlich.


Da Friedhöfe immer auch mit dem Tod zu tun haben und die meisten Menschen ungern an den Tod, womöglich gar den eigenen, erinnert werden wollen, ist es auf Friedhöfen meist sehr leer. Bis auf wenige Besucher, die sich um die Gräber ihrer Angehörigen kümmern, und einigen Radfahrern, die trotz des allgegenwärtigen Verbots den Waldfriedhof für eine willkommene schattige Abkürzung nutzen, ist man weitgehend allein.


Der Waldfriedhof ist sicherlich nicht so spektakulär wie der berühmte Pariser Friedhof Père Lachaise oder der Wiener Zentralfriedhof. Er hat jedoch für mich einen unschlagbaren Vorteil: Er ist nur etwa zwanzig Fahrradminuten entfernt. Wenn man schnell Erholung sucht, sind die nächsten Ziele die besten.


Über die Grabinschrift "Der Tod ist schwer, das Leben ist schwerer" stolperte ich auf meinem Spaziergang. An ihm ist etwas Wahres dran: Es ist betrüblich, dass wir alle einmal sterben müssen. Aber sterben ist leicht im Gegensatz zum Leben. Was macht man mit der Zeit, die man hat? Wie gestaltet man sie sinnvoll? Hat man im Leben überhaupt so viel Gestaltungsfreiheit, wie man sich das wünscht? Und wenn dem nicht so ist, kann man dennoch ein gutes Leben haben?


Die Stille tat gut, sie beruhigte - je weiter man vom Eingang nach innen ging, desto stiller wurde es. Nur im Hintergrund hörte ich Maschinenlärm - vielleicht wurde ein frisches Grab ausgehoben, denn der Waldfriedhof scheint immer noch in Benutzung zu sein.
 

Was habt ihr am bisher heißesten Wochenende des Jahres gemacht?
 

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